The Floating Piers
Christo war mehrere Male vor Ort und schippert emit seinem umgebauten Ponton entlang der Piers; die Leute waren begeistert und riefen …

The Floating Piers: Zwei Jahre dauerten die Vorbereitungen zu der letzten gemeinsam erdachten Aktion von Christo und seiner Frau Jeanne-Claude, die ursprünglich schon vor 46 Jahren geplant war. ‚The Floating Piers‘ im Lago d‘Iseo bilden den Abschluss zahlreicher Großprojekte, mit denen das Künstlerpaar über Jahrzehnte Millionen von Menschen begeistert hat. Christo, im Jahre 2016 81 Jahre alt, arbeitete ohne seine 2009 verstorbene Frau akribisch an der Umsetzung der Idee, Stege zu erschaffen, die sich ‚fließend‘ in ihre natürliche Umgebung integrieren.

Iseosee, Lago d'Iseo

Und tatsächlich: die Übertragung der Bewegungen des Seewassers auf die untereinander beweglichen Pontons gelang. Man fühlte sich nicht wie auf einer Brücke, starr und unbeweglich, de facto isoliert vom natürlichen Nass, sondern war Teil des Wassers, nur getrennt durch eine leuchtend orangefarbene ‚Stoffwelt‘, die wie ein Lichtstrom durch den See führte.

Christos und Jeanne-Claudes Floating Piers

Die kilometerlangen Stoffbahnen waren von einer norddeutschen Firma hergestellt, die auch schon das Material für die Reichstagsverhüllung 1996 gestellt hatte: Ein reißfester, vliesartiger, leuchtend gelb-orange strahlender Stoff, sehr robust und anscheinend fast unzerstörbar, so wie er den Belastungen der Besucher standhielt.

Denn derer gab es viele. Tatsächlich kamen viel mehr Interessierte an den See als erwartet und brachten die Aktion damit fast an ihre Grenzen: Statt 300 000 bis 500 000 Besucher waren es am Ende über 1 200 000 begeisterte Fans, die organisiert werden mussten.

War ursprünglich geplant, den Zugang zu den Piers 24 Stunden am Tag offen zu halten, mussten schon ab dem fünften Tag die Nachtstunden für Reparaturmaßnahmen genutzt und die Piers von Mitternacht bis sechs Uhr morgens geschlossen werden. Personenzüge wurden in Brescia festgesetzt, um den Andrang am Ort des Kunstwerks zu verlangsamen und teilweise zu verhindern; ähnlich ging es den Shuttlebussen.

Wer die Gegebenheiten vor Ort kennt, weiß um die Platznot, die schon zu normalen Zeiten nicht nur in Sulzano herrscht, die Gassen vorne am See sind eng und für Menschenmassen nicht geeignet. Glücklicherweise begegneten die Einheimischen, die Polizei, die Angestellten des Nahverkehrs und die Helfer Christos allen Herausforderungen mit sehr viel Freundlichkeit, Geduld und Ausdauer. So endete am 03. Juli 2016 eine rundum gelungene Kunstaktionen, eine der größten Europas. Es waren die beeindruckendsten sechszehn Tage gewesen, die die Lombardei in den letzten Jahrzehnten gesehen hatte.

Wer Christos Kunst betrachtet, erkennt in den Floating Piers die logische Folge seiner bisherigen Projekte. Vieles hat er verhüllt, er hat Sonnenschirme aufgespannt und Fässer gestapelt. Seine Aktionen gingen um die Welt und die Zuschauer fühlten sich stets als Teil seiner Kunst.

Dieses Mal erschuf er etwas, was noch anziehender war als all seine Projekte zuvor. Die Floating Piers hatten etwas Faszinierendes an sich, waren vielfältig erfahrbar und lösten bei den Besuchern die unterschiedlichsten Assoziationen und Gefühle aus.

Anzeichen einer allgemeinen Beseeltheit stellen sich ein, spontane Gefühlseruptionen waren keine Seltenheit. Christos Kunst bot wie so oft vielerlei Ansätze zur Interpretation: für die einen war es das Verbindende, das die Piers darstellten, für die anderen die Farbspiele, die sich im Wechsel des Lichts ergaben, wieder andere genossen den unmittelbaren Kontakt zum Element Wasser.

Die auf die Pontons übertragenen Seebewegungen waren etwas absolut Neues, ungewohnt zunächst und später nicht mehr wegzudenken; auch ein Gefühl der Seekrankheit stellte sich bisweilen ein, „irgendwie schummrig“ fühlte es sich für alle an, begeisternd zudem oder gerade deswegen. Die einen legten sich erwartungsvoll auf das Vlies, genossen die Bewegungen des Wassers und wurden nach wenigen Augenblicken aufgefordert, nicht allzu lange in dieser Position zu verbleiben.

Keine Unhöflichkeit, sondern schiere Notwendigkeit: schließlich strömten Unmengen an Menschen nach und die Konstruktion erlaubte nur 11 000 Besucher gleichzeitig. Zeit für ausgiebige Rast gab es nicht, angetrieben wurde aber auch nicht; man nahm es hin und ging weiter, der Respekt vor dem Wunsch vieler, das Projekt zu erleben, war bei nahezu jedem vorhanden.

Schnell wurde klar, dass man die Eindrücke nicht allein auf sich wirken lassen konnte, von allen Seiten strömten die Menschen, Einsamkeit mit der Kunst war dieser Tage nicht möglich. Trotzdem blieb die Begehung ein tiefgreifendes Erleben, vielleicht auch gerade wegen der Massen.

Wer Glück hatte, erlebte den Künstler live auf dem extra für ihn gezimmerten Aussichtsturm; wie auf einem ungeschmückten Rosenmontaggefährt bewegte er sich entlang der Außengrenzen seines Kunstwerks von Sulzano um die Isola bis nach Sensole. Applaus brandete auf und demütige Begeisterung machte sich in einem leisen Raunen breit. Christo war die Freude anzumerken, die Freude über die Freude der Menschen: sein Kunstwerk kam an und faszinierte zwei Wochen lang die Massen.

Fazit
Christos und Jeanne-Claudes Floating Piers 2016 am Lago d‘Iseo waren ein außergewöhnliches und unkommerzielles Kunstwerk. Es zog über 1.2 Mio. Menschen in nur 16 Tagen an und brach damit alle Rekorde. Christo ist unbestritten ein Künstler, der die Masse begeistert.

Er schafft es, Kunst für viele zu schaffen, und entblößt sie von jeglichem finanziellem Interesse. Er finanziert das gesamte Projekt alleine und erfährt eine fast unerschöpfliche Unterstützung der örtlichen Behörden und Menschen.

Dass es (wenig) Kritik gibt, die unter anderem die Absprachen mit dem Besitzer der kleinen Insel betreffen, dem Inhaber der Waffenfabrik Beretta, gehört zum Geschäft und soll hier nicht weiter kommentiert werden. Es war ein Glücksfall, dass die Verantwortlichen Christo schnell eine Zusage gaben und das Projekt ermöglichten: nicht in den USA, nicht in einer Metropole Europas, sondern am Iseosee, dem kleinen und vielfach unbeachteten Nachbarsee des großen Lago di Garda. Etwas Besseres hätte der Region gar nicht passieren können, Schattenseiten des Projekts sind nicht erkennbar.

Weitere Informationen und Bilder: www.thefloatingpiers.com
www.christojeanneclaude.net/projects/the-floating-piers